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Lindas Blues
Erzählung

Rezensionen

»Bibliotheksnachrichten«

Schlaglichtartig, aus wechselnder Perspektive schildert der mehrfach preisgekrönte Österreicher Georg Bydlinski in einer melodiös-reduzierten Sprache die Autofahrt eines durch die Lande tingelnden, in die Jahre gekommenen Musikers mit seinem Sohn, der ihn als Chauffeur und Manager begleitet. Die vorbeiziehenden, namenlosen Landschaften spiegeln die Seelenlandschaften von Vater und Sohn wider. Szene für Szene wird die zwischen den beiden gegensätzlichen Protagonisten herrschende Spannung stärker spürbar, eine zunächst nur angedeutete Familientragödie erhält im Laufe der Erzählung immer klarere Konturen. Für die in einem verhängnisvollen Netz aus Sprachlosigkeit und Schuld Gefangenen scheint es keinen Ausweg zu geben …

Dieser aufwändig gestaltete, durchaus erschwingliche Erzählband fällt nicht nur wegen seines ungewöhnlichen Formats aus dem Rahmen. Wie ein Blues ist dieses Stück Prosa komponiert: melancholisch, expressiv und geheimnisvoll. Die eigens zur spannenden Erzählung entstandene, vorwiegend abstrakte Bildserie des niederösterreichischen Künstlers Hubert Hochwarter – Mischtechnik auf Leinwand auf Karton – greift farblich wie thematisch alle Motive und Sprachbilder auf. Hochwarters nuancenreiche Illustrationen passen ausgezeichnet zum lyrischen Grundton Bydlinskis, der es versteht auf nur 47 Seiten eine intensive, tiefe und kompakte Geschichte zu erzählen, deren Figuren dem Leser vor allem wegen ihrer starken Ausstrahlung in Erinnerung bleiben. Empfehlenswert für alle Freunde feinfühliger kurzer Texte auf hohem Niveau.

»Literarisches Österreich«

Die sorgfältige Ausstattung von Büchern der Literaturedition Niederösterreich ist deren Markenzeichen. Im vorliegenden Buch oblag die adäquate Umsetzung der Texte in Bilder dem Künstler Hubert Hochwarter. Wie der Autor lässt auch er Freiräume für Interpretationen.

Leseprobe

Marc konnte nicht loslassen. Die Leere machte ihm Angst. Er musste sie füllen, egal ob es die Leere des Asphalts vor seiner Windschutzscheibe war oder die Leere von Stunden, Minuten. Der Vater konnte das, trödeln, Zeit vergeuden; auch dann, wenn er auf seiner Gitarre improvisierte, wirkte es nie wie Arbeit, es klang wie Entspannungsübungen, wie ein Abtasten von Möglichkeiten, Zwischenräumen. Wenn der Vater in seinen Konzerten eine bestimmte Nummer spielte, die so langsam begann, dass die Stille zwischen den Akkorden länger war als deren Verklingen, fühlte Marc jedes Mal eine körperliche Beklemmung – so, als gehe er allein über einen riesigen leeren Platz. Erst dann, nach dieser endlos langen, langsamen Einleitung, wenn die Finger des Vaters plötzlich über die Saiten zu rasen begannen, entspannte sich Marc. Es war zu dumm, er wusste ja, was kommen würde, er kannte das Stück in- und auswendig, auch wenn es jedes Mal ein wenig anders klang. Er hatte dem Vater nichts davon gesagt. Vielleicht würde der ihn auslachen. Oder das Stück nicht mehr spielen. Beides wollte er nicht.

Der Vater neben ihm schlief, den Mund leicht geöffnet, den Kopf an die Nackenstütze gelehnt. Der Kopf ruckte in den Kurven, manchmal zuckten die Lippen im Schlaf. Marc fühlte sich gut; die Hände am Lenkrad, überwand er die Leere der Autobahnkilometer, näherte er sich dem Ziel, das vorgegeben war, er selbst hatte den Konzerttermin vereinbart. Der Vater schlief neben ihm wie ein Kind, er, der sich immer geweigert hatte, Autofahren zu lernen, trotzig, verstockt. Ohne Marc würde er immer noch mit Zügen, Bussen und Nebenbahnen zu seinen Auftritten gondeln, würde auf Bahnhöfen, in verstunkenen Gastwirtschaften oder überheizten Wartesälen herumsitzen, Zeit verschwenden, bis der Anschluss kam, den großen Gitarrekoffer mit den zahllosen Aufklebern, Städtewappen, Protestslogans neben sich, angestarrt von den anderen Reisenden wie ein Schausteller. Nein, das wollte Marc nicht, dafür waren ihm der Vater und seine Zeit zu schade. Das hatte er geändert, nach langen, vorsichtigen Gesprächen, er hatte sich ja nicht aufdrängen wollen. Die Musik konnte so bleiben, wie sie war, er bewunderte sie, aber das Drumherum, das war kindisch. Und bessere Honorare hatte er auch ausgehandelt, der Vater war da viel zu gutmütig, ließ sich allzu leicht drücken.

Marc war von der Autobahn abgefahren und fuhr auf einer Landstraße, dem Sonnenuntergang zu. Der Opel, den er lenkte, war wie die Erweiterung seines Körpers.

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