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Nachwort von Gertrud Paukner zu Georg Bydlinskis Kinderlyriksammlung Die bunte Brücke (Herder, Wien 1992)

Eine bunte Brücke – für Eltern und Menschen, die Kinder mögen

Im Grunde glaube ich, dass ein Buch wie Georg Bydlinskis „Bunte Brücke“ kein Nachwort braucht – so sehr spricht es in seiner Ursprünglichkeit und Unbefangenheit erwachsene wie kindliche Leser an. Es verlockt, in die Gedichte und in sich selber hineinzuhorchen, hellhörig zu werden für die Sprache und die eigene Kindheit oder die der Kinder neu zu entdecken. Aber es mag sein, dass junge oder alte Menschen, zukünftige Eltern oder solche mit wenig Freizeit ganz froh sind, wenn die bunte Brücke, die ihnen der Autor gebaut hat, an manchen Stellen verstärkt wird – etwa mit Hinweisen darauf, dass Lesen mehr ist als Lesen, dass Vorsprechen nicht nur zum Nach- und Mitsprechen, sondern zum Mitgestalten, Spielen, Weiterspinnen von Gedanken, Worten, Versen und Reimen auffordern kann.

Georg Bydlinski ist so sehr Kind geblieben – trotz einiger Bände voll Ernst und Engagement für Erwachsene –, dass er aus der Mitte kindlichen Erlebens denkt, fühlt und spricht – etwa vom Sandkistenland, von der Buchstabensuppe, vom Aufräumen oder vom Grimassenschneiden. Er braucht sich nicht hinunterzubeugen zu den Kleinen, weil er selber zu ihnen gehört, weil er sich zurückverwandeln kann in ein Kind von drei oder fünf Jahren. Und seine unkonventionellen „Muttertagsstrophen“ braucht ein Kind nicht auswendig zu lernen, weil sie ihm einfach einfallen.

Unkonventionell sind auch seine Auszählreime: sie schließen niemanden aus, sie diskriminieren nicht, sie scherzen einfach und bieten neue Erlebnisreize. Und erst die Familiengedichte: da leidet die Mutter nicht unter der Doppelbelastung von Heim und Büro, da seufzt der Vater nicht unter seiner Hausmannrolle (er teilt sie ja mit dem Kind!) – und als alle wieder beisammen sind, sind sie „vergnügt, weil wir uns haben!“ Das ist nicht Verniedlichung eines Problems, sondern seine Bewältigung, das Lernen eines neuen Miteinander.

Bydlinski wäre nicht der nachdenkliche, meditative und dabei engagierte Lyriker, wenn nicht, wie in seinen Texten für Erwachsene, auch in den Kindergedichten seine Liebe zu allen Geschöpfen, seine „Ehrfurcht vor dem Leben“ (A. Schweitzer) zu Wort käme. Es ist eine einfache, fast franziskanische Weltfrömmigkeit, die sich in Gedichten wie „Sonnenaufgang“, „Was ich sehe, wenn ich gehe“, „Tiere“ u. a. ausspricht. Hier mag die Wahlverwandtschaft zu indianischem Leben und Denken entstanden sein, die dann zu schönen und genauen Übertragungen indianischer Texte geführt hat. Und die kindliche Phantasie kommt ebenso zu ihrem Recht: in seiner Vorliebe für Post und Eisenbahn, für reale und erdachte Tiere, für magische Verwandlung des einen ins andere, in Lügenmärchen, Rätseln und Scherzgedichten („Zaubersprüche für eine Zwiderwurzen“ u. a.); sie enthüllen eine Fähigkeit zur Sprachmagie, die Kindern ursprünglich eigen ist, die aber allzu oft verschüttet wird. Auch diese Fähigkeit gilt es in Kindern und Eltern neu zu erwecken. Nicht nur die beliebten Reimspiele, auch der Umgang mit Metaphern („Kleine Sprachlehre“) und mit Wortmontagen („Zwiebufant“) gehören dazu. Die Einfachheit von Wortwahl und Satzbau erinnert dabei an japanische Haikus, noch mehr aber an indianische Spruchweisheit. Genau diese Pointierung und Treffsicherheit in Rhythmik, Melodik und Wortwahl vermag auch Kleinkinder in ihrer noch schöpferischen Phase der Sprachgestaltung fühlig zu machen für die Möglichkeiten kreativen Sprechens und Singens, das ja mit dem „kreativen Singsang“ im zweiten Lebensjahr beginnt und bei sprachschöpferischen Menschen nie endet.

Gelingt es Kindern und Erwachsenen, auf diese Weise nicht nur ihre Lebenswelt, sondern auch „die Sprache“ gemeinsam zu „bewohnen“ (ein Buchtitel Bydlinskis), dann vermögen sie die ursprüngliche Einheit der Sprache der Kleinen und der Großen, wie sie der Autor hat, wiederherzustellen. Sie lernen dabei keinen anderen, aber den ganzen Bydlinski kennen.

 

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