Zurück

Laudatio von Karin Sollat in »1000 und 1 Buch« Nr. 1/1994, Wien

Preis der Stadt Wien

Wenn ein Preis vergeben wird, ist es nur natürlich, dass die Preisträger auch gepriesen werden. Und das habe ich nun die Freude und Ehre zu tun, und zwar in alphabetischer Reihenfolge.

Ich beginne also mit B wie Bydlinski; ein Name, der seit vielen Jahren das Gesicht der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur entscheidend mitgeprägt hat, nicht zuletzt mit seiner alle Altersgrenzen sprengenden Lyrik.

Wann sind Sie das letzte Mal gehüpft? Schon lange nicht mehr? Dann sollten Sie es vielleicht wieder einmal tun, denn wenn Sie in der Luft auch noch eine ganze Drehung schaffen, können Sie damit ein Monster herbeirufen. So wie der kleine David in »Der Schattenspringer und das Monster«.

Eigentlich fängt alles damit an, dass David über jeden Schatten hüpfen muss, den er sieht. Einfach so. Er springt immer besser, schafft dabei eine halbe, dann eine dreiviertel Drehung. Und als ihm das erste Mal eine ganze gelingt, sitzt es plötzlich da. Ein huflattichohriges, gurkennasiges Monster mit glatten, grünen Schuppen und einem dichten Schnauzbart, das an seinem hohlen Zahn saugt.

Und nachdem Bösewichte meist weder Huflattichohren noch Gurkennasen haben, ist auch dieses Monster kein Artverwandter von Godzilla, Alien und Co., sondern im Gegenteil eines von der besonders liebenswerten Sorte, das irgendwie sogar Ähnlichkeit mit der guten Fee aus dem Märchen hat.

Und das nicht bloß, weil man es nur zwölfmal rufen kann, so wie die guten Feen meistens nur drei Wünsche gewähren. Dieses Monster hilft David in allen möglichen Lebenslagen. Wenn es darum geht, Langeweile zu vertreiben, böswillige Nachbarn daran zu erinnern, dass sie selber auch einmal Kinder waren, oder ausländerfeindlichen Mitmenschen das Brett vor dem Kopf zu verrücken, ist es genauso zur Stelle wie dabei, die Verantwortlichen der Stadt daran zu hindern, eine Wiese zur Betonwüste zu machen.

Während in vielen Geschichten das phantastische Wesen, mit dem die Kinder zu tun haben, von den anderen meist nicht gesehen werden kann, ist Georg Bydlinskis Monster nicht nur eins für alle Fälle, sondern auch für alle sichtbar. Und zeigt natürlich Wirkung. Denn wer bleibt beim Anblick eines geschuppten Monsters mit Gurkennase und Schnauzbart schon unbeeindruckt …

Dem »Schattenspringer« ist es gelungen, die beiden berühmten Ebenen der Phantasie und Realität so miteinander zu verknüpfen, dass sich die Frage der Grenzziehung gar nicht erst stellt. Natürlich weiß der Leser, dass sich Probleme wie Starrsinn oder unmenschliche Städtebauplanung nicht durch grüne Monster lösen lassen, auch wenn´s schön wäre. Aber im Märchen und in der phantastischen Geschichte ist vieles möglich und wunderbar veränderbar, und beim Lesen von »Der Schattenspringer und das Monster« wird man auf einiges aufmerksam gemacht, das dringend der Veränderung bedarf: Rücksichtslosigkeit, Engstirnigkeit, Ausländerfeindlichkeit, Umweltzerstörung.

Darüber nachzudenken ist nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Und trotzdem kommt die Geschichte nicht mit bierernster Problemschwere daher, dazu ist der Tonfall zu heiter und unbeschwert, die Hauptdarsteller zu liebenswert.

Auch darin liegt Georg Bydlinskis besondere Kunst: Problembewusstsein zu vermitteln, ohne mit dem berühmt-berüchtigten Zeigefinger zu winken, eine Geschichte zu erzählen, die gleichzeitig lustig zu lesen und zum Nachdenken ist.

Nach oben

Impressum | Sitemap | Design: loxias.cc