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Interview mit der Zeitschrift »Buchkultur« Nr. 79, April/Mai 2002, Wien

Schau, dass der Funke überspringt

Er schreibt seit über zwanzig Jahren für Leser aller Altersstufen. Jetzt bekam Georg Bydlinski den Österreichischen Staatspreis für Kinderlyrik. Nils Jensen traf den Autor im Wiener Café Prückl.

Buchkultur: Sie erhielten gerade den Österreichischen Staatspreis für Kinderlyrik (gemeinsam mit Gerald Jatzek, Anm.) – große Freude?

Georg Bydlinski: Natürlich. Außerdem ist das eine Anerkennung für einen wichtigen Teilbereich meiner schriftstellerischen Tätigkeit, den ich seit 20 Jahre ausfülle. Und darüberhinaus habe ich das Glück, dass mein gesammelter Kinderlyrikband »Wasserhahn und Wasserhenne« jetzt vorliegt.

Buchkultur: Ist das Lyrikschreiben für Kinder und Jugendliche so sehr unterschieden vom Gedichteschreiben für Erwachsene?

Bydlinski: Nun, erstmal hat dieser Staatspreis die Zielrichtung, Kinderlyrik aufzuwerten, sie in den Bereich der Literatur hereinzuholen …

Buchkultur: … also weg vom holprigen Kinderreim …

Bydlinski: Ja, insofern ist das absolut legitim, einen eigenen Kinderlyrikstaatspreis auszuloben. Zum Zweiten hat Lyrikschreiben für Kinder gewisse Vorgaben, was bei Erwachsenenlyrik nicht zwingend ist. Aus meiner Praxis hat es sich ergeben, dass meine Kindergedichte fast alle gereimt sind, stark rhythmisiert sind. Bei den Erwachsenen lebt die Lyrik oft von der Balance zwischen Aussage und Aussparung, bei der Kinderlyrik sind das tänzerische Element, Rhythmus, Reimschema, Metrik wichtig, auf das sprechen Kinder schon in sehr jungen Jahren an, wenn sie noch gar nicht alle Wörter kennen.

Buchkultur: Ist Ihrer Meinung nach das Image der Kinder- und Jugendliteratur noch immer schlechter als das der Erwachsenenliteratur?

Bydlinski: Ich höre aus Ihrer Frage heraus, dass die Kinder- und Jugendliteratur quasi im Vorfeld der eigentlichen literarischen Tätigkeit angesiedelt war. Dass sie für viele eher so was wie angewandte Pädagogik war. Ich glaube, dass sich die Kinderliteratur von diesen Gedanken emanzipiert hat. Und es ist wohl auch eine Generationenfrage, denn bei den jüngeren Germanisten wird Kinderliteratur heute wohl schon als Teil der Literatur gesehen. Man merkt es halt noch bei Rezensionen, dass viele Kinderbücher unter kleinkindpsychologischen und pädagogischen Gesichtspunkten beurteilt werden und nicht unter literarischen.

Buchkultur: Ist das Schreiben für Kinder und Jugendliche schwieriger als etwa einen Roman für Erwachsene fabrizieren?

Bydlinski: Naja, bei mir kommt es auch auf meine Gestimmheit an. Da gibt es Phasen, wo ich besser was für Kinder mache, und dann kommen Phasen, wo ich eher eine Geschichte für Erwachsene entwerfe und schreibe. Diese Phasen kann man wohl selber nicht so beeinflussen, das sind Wellen, auf denen man sich mittreiben lässt.

Buchkultur: Hängt das nicht auch vom Thema, vom Inhalt ab?

Bydlinski: Bei mir beginnt eine Erzählung oft mit einem Anfangseinfall. Kann auch sein, dass ich über ein Thema nachdenke, und durch irgendeine Beobachtung, ein Erlebnis, kommt es zu einem solchen Anfangseinfall. Das ist spannend, und deshalb bleibt es auch, nach mittlerweile 20-jähriger Schreibtätigkeit, spannend.

Buchkultur: Sie haben, neben über 40 Büchern, auch Übersetzungen gemacht, zusammen mit Käthe Recheis. Wie kam es denn zu dieser Zusammenarbeit?

Bydlinski: Diese Übersetzungen betreffen indianische Texte, Aussprüche, Gesänge und Reden aus Nordamerika. Es ist jetzt ein Vierteljahrhundert her, dass ich Käthe Recheis kennen lernte. Ich studierte damals noch und las in diesem Umfeld ein paar Texte vor. Eine Nichte von Käthe Recheis hörte auch zu und übermittelte ihrer Tante die Texte. Die hat mich postwendend angerufen, die berühmte Autorin, die sie damals schon gewesen ist. Sie hat mir damals den Floh ins Ohr gesetzt, auch für Kinder zu schreiben. Ich habe mich damit beschäftigt mit dem Resultat, dass beide Bereiche mittlerweile für mich unverzichtbar geworden sind. Wir haben bis dato eine ganze Reihe von Anthologien indianischer Texte und Gedichte herausgebracht, fangen gerade wieder mit einem neuen Band an, Sichtungs- und Sammelarbeiten vorerst. So war und ist ein kontinuierlicher Kontakt da, und was mir sehr viel gebracht hat: Wir tauschen Manuskripte aus, lesen, machen Kürzungs- und Änderungsvorschläge.

Buchkultur: Macht es heute eigentlich noch Sinn, Kinder- und Jugendliteratur zu schreiben? Oder sollte man gleich ein Computerspiel entwerfen?

Bydlinski: (lacht) Da müsste man eine andere Person sein. Meine Erfahrungen aus vielen Lesungen zeigen, dass Kinder sehr offen sind für verschiedenste Arten von Literatur, ob das jetzt eine spannende Handlung ist, ob das ein sprachspielerisches Gedicht ist zum Mitreimen, ob das Spiel mit Sprachmaterial ist … die Offenheit ist da. Ich habe von meinen eigenen vier Söhnen die Erfahrung mitbekommen, dass das eine das andere nicht ausschließt. Wenn man will, dass das Buch als "leises Medium" im Konzert  dieser vielfältigen Medienwelt eine Rolle spielt, auch im späteren Leben, dann muss man schauen, dass der Funke möglichst früh überspringt. Das ist eine weitere Motivation, für Kinder und Jugendliche zu schreiben. Und, davon bin ich überzeugt: Erlebnislesen kann man am Bildschirm nicht. Sachtexte ja, Recherchieren ja, aber in der Hängematte im Garten braucht man das haptische Element, ein Buch halten und lesen zu können.

Buchkultur: Sie sind nicht nur ein engagierter und vielbeschäftigter Autor, Sie sind auch berufspolitisch tätig (im Vorstand der IG Autorinnen Autoren, Anm.). Warum tun Sie sich das an?

Bydlinski: Ich finde es wichtig, dass Autorinnen und Autoren ihre Belange selbst in die Hand nehmen, sich zu Wort melden. Wir sind eine Interessengemeinschaft, die berufspolitische Belange vertritt, weil sie sonst niemand vertritt. Eine Funktion, die ich nicht zurücklegen möchte, weil ich sie für wichtig halte.

Buchkultur: Was ist in nächster Zeit von Bydlinski zu erwarten?

Bydlinski: Im Frühjahr ein Taschenbuch für Kinder, »Krok bleibt am Ball«, die Zusammenfassung von zwei früher als Bilderbücher erschienenen Geschichten im Obelisk-Verlag. Im Herbst erscheint im Dachs-Verlag der Jugendroman »Stadtrandnacht«. Ich muss überhaupt den Dachs-Verlag loben, weil er ein Interesse hat an Lyrik, als einer der wenigen Verlage, an Texten, die nicht so marktgängig sind.

Buchkultur: Was haben Sie in den letzten Monaten denn gelesen?

Bydlinski: Ich habe vor allem die sich angestauten Literaturzeitschriften gelesen und habe dadurch ein Mosaik verschiedenster Stimmen gehört. Und Songtexte aus dem englischsprachigen Bereich.

Buchkultur: Lieblingsbuch von Georg Bydlinski?

Bydlinski: Es gibt so viel brauchbare Literatur, von der Lyrik für Kinder bis zum großen Roman, dass es mir schwer fällt, ein Buch herauszunehmen. Ich kenne eine Reihe von Autorinnen und Autoren, die ich gerne lese, wo ich erstaunt bin, wie viele Möglichkeiten es in der Literatur gibt. Erich Fried sprach von der Arbeitsteiligkeit der Literatur: Die vielen Autoren und ihre Stimmen und Stile fügen sich zusammen zu einem Ganzen, sodass wir einander ergänzen. Was über die Literatur hinaus ein solidarisches Grundgefühl darstellt.

Buchkultur: Herzlichen Dank für das Gespräch.

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