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Artikel von Christina Repolust in "Unsere Kinder", Fachzeitschrift für Kindergarten- und Kleinkindpädagogik, Linz, Nr. 5/2008

Gedichte sind Zauberformeln
Christina Repolust zu Besuch beim Dichter Georg Bydlinski

Georg Bydlinski erklärt mir den Weg von Wien nach Mödling sehr genau und sehr geduldig. Ich höre den Spaziergänger, der auf Details achtend seine Spuren zieht, aus diesen Beschreibungen heraus. Er hole mich vom Bahnhof ab, sagt er, wir würden uns schon erkennen. Ob er, wie die Dichter in seinen Geschichten und Gedichten, in einem kleinen Haus am Rande der großen Stadt wohnt, frage ich ihn nicht gleich, ich werde es ja sehen. Ihn kenne ich ja von Fotos, schreibend oder mit Gitarre. Die hat er heute nicht dabei, sie ist wegen der Kälte daheim geblieben, in seinem Haus, in seinem geordneten Schreibzimmer.

„Das Haus des Dichters“ ist der Titel eines seiner Gedichte: „In unsrer Häuserzeile steht ein Haus, das sieht anders als die andern aus: Statt aus Ziegeln ist es aus Büchern gebaut, statt Verputz trägt’s eine  papierene Haut. Die Fenster sind Illustrationen von allen, die darin wohnen. Statt Türen zu öffnen, blättert man Seiten um…“ Nein, sein Haus ist aus Ziegeln gebaut, und der Dichter erzählt von sich, seiner Familie und seiner Arbeit, dem Sprachschöpfen, dem Sprachbasteln, dem Wortereimen, dem Reimeschreiben und dem Wörtersammeln. Sein Arbeitsmotto lautet seit über zwanzig Jahren „Gedichte kann man nicht nur lesen“ und ist eine Einladung an alle BibliothekarInnen, KindergartenpädagogInnen, ErzieherInnen und Erwachsenen ganz allgemein, Lyrik von ihrem einsamen Exklusivplatz zu holen, damit sie im Alltag der Kinder landet, mittendrin. Die Kinder werden die Worte befühlen, zu ihrem Klang trippeln und schnippen, lachen, kichern, den Reim von der Leine lassen und wertvollen Sprach-Unsinn treiben.

Die Sprache bewohnen

„Hier schreibe ich, aber meine Texte entstehen meistens draußen, spontan, bei Spaziergängen. Beim Gehen beginnen die Melodien in meinem Kopf zu klingen“, erzählt Georg Bydlinski in seinem Arbeitszimmer bei einem Tee. Dann muss er wirklich viel spazieren gehen, denke ich angesichts seines umfangreichen Werkverzeichnisses: Lyrik für Erwachsene und Kinder, Prosa, Übersetzungen indianischer Texte aus Nordamerika zusammen mit Käthe Recheis folgten seinem 1980 erschienenen ersten Buch „Pimpel und Pompel aus Limonadien“.

„Literatur, auch Kinderliteratur, ist ja überhaupt eine Art Flaschenpost – wir wissen nie, wen sie erreicht“, so hat der mehrfach ausgezeichnete Schriftsteller 2005 in seiner Rede anlässlich der Überreichung des Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreises für sein Bilderbuch „Der Zapperdockel und der Wock“ vom Schreib- und Schaffensprozess erzählt. Er will in den Köpfen seiner LeserInnen etwas zum Klingen bringen und freut sich, wenn er bei seinen zahlreichen Lesereisen beobachten kann, dass die Kinder plötzlich einen Text weiter reimen, auf Sprachbilder reagieren, sie weitermalen und somit die Sprachkreativität zum Tanz bitten. „Das gelingt immer dann, wenn der Funke überspringt. Dieser Funke, der Lyrik heißt, hat mich vor vielen Jahren erwischt. Die beiden großen Schriftstellerinnen Käthe Recheis und Friedl Hofbauer haben meine Texte gelesen, in diesem wohlwollend kritischen Schreibumfeld habe ich mich entwickelt, bin mutiger geworden, habe meine eigene Melodie gefunden“, erinnert sich der 1956 in Graz geborene Dichter, der unterhalten und zum Nachdenken anregen will.

Sein erstes Gedicht, das er als Neunjähriger schrieb, war sechsstrophig, es trug den Titel „Affengedicht“: „Ein Affe fuhr mit seinem Schlitten durch den verschneiten Affenwald; im Sommer pflückt er meistens Quitten, die hat er dann verzehret bald…“ Seine Zwillingsbrüder lasen es in der Schule vor und ein Lehrer schrieb es sogar James Krüss zu, berichtet Bydlinski, der aus einer Juristenfamilie stammt. Für die Zwillinge hat er abends Geschichten erzählt, in die er Ideen, Figuren und Szenen aus seiner eigenen Lektüre – vom Micky-Maus-Heft bis zum Abenteuerroman – einbaute.

Kater, Zapperdockel und Wocks

In dem von Carola Holland illustrierten Bilderbuch „Der dicke Kater Pegasus. Seltsame Geschichten“ erzählt Bydlinski von einer besonderen Computer-Katze und ihrem Herrn, dem Dichter. „Der Dichter wollte auf seinem Computer eine lange, spannende Geschichte schreiben“, so beginnt die erste Szene der seltsamen Geschichten. Der Kater liegt auf den Computertasten und kratzt am Buchstaben A. „Was, du lässt mich nicht? Dann schreib ich eben ein Gedicht!“, so spricht der Dichter mit seinem Kater Pegasus. Es entstehen wunderschöne handgeschriebene Gedichte neben diesem schlafenden Kater, doch der Dichter will seine lange Geschichte schreiben, die ihn berühmt machen wird.

Als der Kater einmal nicht die Tastatur belegt, macht sich der Dichter an die Arbeit: „Der Dichter fühlte sich katzenwohl, er streckte die Arme aus und räkelte sich.“ Doch schließlich gelingt es Pegasus, den Dichter zu überzeugen, dass er ohnehin lieber Gedichte als Geschichten schreibt. Hier in Georg Bydlinskis Haus – nicht ganz am Rande der nicht ganz großen Stadt Mödling – räkelt sich auch ein Kater. „Er heißt Max“, sagt der Dichter und lächelt dabei, als würde er sich auch gerade katzenwohl fühlen.

„Er war nicht besonders schön und nicht besonders hässlich. Er war nicht besonders groß und nicht besonders klein“ – er, der Zapperdockel, der mit sich eigentlich zufrieden ist. Bis eines Tages ein Wock, der vorüberkommt, ihn hässlich und klein nennt. Wocks sind niemals freundlich, erfahren die LeserInnen, denn selbst wenn ein Wock einmal gut aufgelegt sein sollte, grüßt er einen anderen Wock etwa mit „schlechten Abendschatten, du Regentonne“. Richtig unfreundlich halt. „Das Leben ist so traurig, so traurig wie ein schwarzer Stein“, lässt Georg Bydlinski den Zapperdockel fühlen und erreicht damit alle Sprach- und Gefühlsantennen der BilderbuchbetrachterInnen. Ja, ein bekanntes Gefühl, nur noch nie in so ein treffendes Bild gesetzt, es stimmt also: „Jedes Wort hat eine Farbe“. Zapperdockels werden, wenn sie traurig sind, durchsichtig und jeder kann ihre Gedanken lesen und so liest der Wock „Das Leben ist so traurig wie ein schwarzer Stein“. Das rührt die wocksche Spötterseele und er muntert sein „Opfer“ auf: „Das Leben kann so fröhlich sein wie ein knallroter Gartenschlauch, wie ein gelbes Windrad oder eine grün gepunktete Krawatte.“

Der Dichter Georg Bydlinski dosiert die Farben seiner Worte exakt, er taucht seine Schreibpinsel in die klaren Farbtöpfe des Sprachschatzes und setzt Strich um Strich auf die weiße Landschaft der Gefühle.

Fußball und Lyrik

Wer sagt, dass Dichter nicht laufen oder gar Fußball spielen? Georg Bydlinski spielt seit seiner Kindheit Fußball und ist Mannschaftskapitän der österreichischen Autoren-Fußballnationalmannschaft. Im Jahr der „Euro ’08“ sind zwei neue Titel von ihm erschienen, die um das Grundthema „Gemeinschaft leben“ kreisen. „Lena und Lukas lernen teilen“ erzählt als Bilderbuch davon, wie zwei Kinder die Freude am Teilen entdecken und erfahren, wie viel man eigentlich teilen kann. Und im Kinderbuch „Wir bleiben am Ball!“ lernen die SpielerInnen einer österreichischen U11-Mannschaft als Team am Ball zu bleiben. Mädchen können Fußballspielen und Buben lernen, den Ball abzugeben. Ein kunstbegeisterter Vater spürt beim Zuschauen, wie spannend und gar nicht primitiv Fußball sein kann. Alle lernen dazu und gewinnen – nach manchen kleinen Kämpfen – ein Stück Größe.

 

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