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Artikel von Wolfgang Bahr in »Kirche intern« Nr. 2/1993

Poet und Partner

Wer Georg Bydlinski in der Südstadt bei Wien aufsucht und vorher seinen Roman »Satellitenstadt« gelesen hat, hält unwillkürlich Ausschau nach der Kirche mit dem flachen Dach. Sie bildet den Mittelpunkt dieser Schlafstadt, in der der Dichter, nach einer Kindheit in Graz und Bonn, seit seinem zwölften Lebensjahr lebt. Die Bücher »Satellitenstadt« sowie »Kopf gegen Beton« stellen Versuche dar, die Probleme einer solchen Siedlung aufzuarbeiten. "Das kommt aus einer Zeit, wo ich die Monotonie der Südstadt sehr schwer ausgehalten habe", erinnert sich der jetzt Siebenunddreißigjährige, sieht die Dinge aber mittlerweile anders. "Jetzt verwächst sich schon wieder alles recht schön, und man muss wenigstens nicht Angst haben, dass die Kinder ein Auto zusammenführt." David, Gabriel und Lukas treten übrigens im eben erschienenen Buch »Der Schattenspringer und das Monster« unter ihren eigenen Namen auf, ein weiterer Beweis für die Lebensnähe des Autors.

Betritt man die Garconniere, in die sich Bydlinski jeden Morgen zurückzieht, so bestechen zunächst zwei Dinge: Stille und Ordnung. "Ich brauche, wenn ich schreibe, absolute Ruhe", erläutert er seine Arbeitsweise. "Ich kann nicht sagen, setz dich hin und schreib ein Gedicht, sondern ich brauch ein Erlebnis oder eine Beobachtung oder etwas wie einen anderen Lichteinfall, dass etwas in Gang kommt. Dann muss ich bereit sein, schreibend darauf zu reagieren. Wenn ich hingegen längere Prosa schreib, ist für mich die Kontinuität sehr wichtig. Ich stell mir dann ein eigenes Pensum von mindestens drei Seiten pro Tag und hab mir auch gewisse 'Bürozeiten' angewöhnt. Aber es ist nicht jeder Kalendertag ein Schreibtag." Nach der Herstellung der Rohfassung lässt Bydlinski seinen Text erst einmal ruhen und gären – manchmal auch ein Jahr lang –, um dann erst zu feilen oder zu Ende zu schreiben.

Grenzgänge

Wenn es aber so weit ist, verlässt der Schriftsteller seine Klause und wird zu einem überaus kommunikativen und tatkräftigen Manager in eigener, aber auch fremder Sache. "Ich finde den Wechsel zwischen dem Sichabkapseln und dem bewussten Kontakt und Gespräch sehr wichtig", sagt er und erzählt von seinen Lesungen vor allem in Schulen. "Mir fällt auf, dass im akustischen Realisieren des Gedichts der Funke viel leichter überspringt; so lasse ich die Kinder mitreimen, oder manchmal schicken sie mir nachher Gedichte, die sie von meinem Gedicht weiter- oder umgedichtet haben." Etwas problematischer sind Lesungen vor Erwachsenen, klagt der leidenschaftliche Lyriker und führt dies auf das Auswendiglernen zurück, durch das sie in ihrer Jugend geschädigt worden seien. "Dazu kommt das Problem, dass Lyrikbände in den meisten Buchhandlungen nicht lagernd sind, weil der Buchhändler damit zu wenig Geschäft macht, sodass man beim Stöbern nur selten Gedichtbände entdecken kann."

Vielleicht liegt es am "nüchternen" Elternhaus (der Vater und zwei Brüder sind Juristen, ein Bruder ist Computertechniker, und nur bei Mini, dem Kabarettisten, hat die künstlerische Ader ebenfalls durchgeschlagen), dass sich Georg Bydlinski nicht nur um die poetische, sondern auch um die praktische Seite der Literatur sorgt. Ein Grenzgänger ist er auch hier: zwischen weltanschaulich gebundenen und neutralen Verlagen, zwischen eher links und eher katholisch angehauchten (Jugend & Volk und Herder sind seine Stammhäuser), zwischen Verlagsgiganten und Kleinverlegern (mit Freunden zusammen hat er die Edition Umbruch gegründet, die bisher über 20 Bücher österreichischer Autoren herausgebracht hat). Als Mitglied der progressiven Grazer Autorenversammlung hat er jahrelang deren Aktivitäten in Niederösterreich koordiniert, und als Vorstandsmitglied der Interessengemeinschaft der Autoren setzt er sich gemeinsam mit anderen für die oft missachteten Rechte seiner Kolleginnen und Kollegen ein – übrigens mit Erfolg: Die in Deutschland seit langem eingeführte Bibliothekstantieme ist jetzt auch in Österreich zum Greifen nah.

Phantasie

Schließlich liegt dem freischaffenden Schriftsteller auch die Zusammenarbeit mit den Graphikern am Herzen, er liest – das ist bei den Kinderbuchautoren so üblich – Manuskripte für Kolleginnen und Kollegen oder gibt Bücher überhaupt gemeinsam heraus: Bereits fünf Titel mit Schriften indianischer Autoren hat der graduierte Anglist zusammen mit Käthe Recheis übersetzt; das bekannteste darunter, »Weißt du, dass die Bäume reden«, liegt bereits in 19. Auflage vor. Aber auch wenn Georg Bydlinski seiner Phantasie freien Lauf lässt, lässt er den Leser, die Leserin (die erste ist immer seine Frau) nie außer Acht: "Der Leser ist der Partner des Autors und schafft im Lesen den Text mit" – weshalb auch manches, wie in dieser Porträtskizze, offen bleiben darf …

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